Atemarbeit bei Angst und Überforderung: Eine Anleitung für schwere Zeiten

Wenn alles zu viel wird, bleibt der Atem. Er trägt dich durch das, was du alleine nicht schaffst.

Manchmal reicht ein Gedanke, ein Blick, eine E-Mail – und das Nervensystem ist im Alarmzustand.
Das Herz rast, die Brust wird eng, der Atem stolpert. Angst und Überforderung sind keine abstrakten Gefühle, sondern körperliche Zustände.

Genau hier setzt Atemarbeit an. Sie wirkt nicht über den Kopf, sondern direkt auf die Schaltstellen des Nervensystems.

Warum Angst den Atem raubt

Wenn das Nervensystem Gefahr meldet, springt der Körper in uralte Muster: Kampf, Flucht oder Erstarrung.
Die Atmung verändert sich sofort:

  • schnell
  • flach
  • hoch in der Brust

Das signalisiert: Alarm!
Problem: Oft gibt es keinen Tiger, sondern nur das Meeting oder die Nachricht, die uns überrollt. Dann bleibt das System hochgefahren, ohne Ventil.

Die Lösung: den Atem bewusst als Hebel nutzen. Ein langsamer Ausatem aktiviert den Vagusnerv – unser Beruhigungssystem – und gibt dem Gehirn die Botschaft: Gefahr vorbei.

Atemmuster und Gehirn – wie Angst programmiert wird

Jedes Atemmuster ist mit bestimmten Regionen im Gehirn verknüpft. Neurowissenschaftler:innen haben gezeigt:

  • Schnelle Atmung ist eng mit Angst gekoppelt.
  • Überatmung (z. B. bei Asthma) kann paradoxerweise das Gefühl erzeugen, zu wenig Luft zu haben – obwohl man zu viel atmet.
  • Unregelmäßiges Atmen aktiviert die Alarmzentren im Hirnstamm.

Die gute Nachricht: Diese Muster sind veränderbar. Mit gezielten Atemübungen lassen sie sich neu „verdrahten“. Studien zeigen, dass sich neuronale Netzwerke bei Angststörungen durch Atemarbeit innerhalb weniger Wochen messbar verändern.¹

Angst ist also nicht nur ein Gefühl – sondern oft ein erlerntes Atemmuster. Und das bedeutet: Es kann umprogrammiert werden.

Drei Atemanker für schwere Momente

1. Orientierung + Atem
Panik zieht den Blick nach innen. Mach das Gegenteil:

  • Nenne drei Dinge, die du siehst.
  • Drei Geräusche, die du hörst.
  • Drei Empfindungen im Körper.
    Dazu: 4 Sekunden ein, 6 Sekunden aus.Bringt dich zurück ins Jetzt.

2. Hände erden
Beide Hände auf eine feste Fläche legen (Tisch, Wand, Oberschenkel). Atme 3 Sekunden ein, 7 aus.
 Gibt Halt, wenn du das Gefühl hast, zu „fallen“.

3. Summende Ausatmung
Durch die Nase ein, beim Ausatmen summen („mmm“).
Die Vibration stimuliert den Vagusnerv, wirkt angstlösend und verbindend.

Co-Regulation: Warum wir andere brauchen

Angst isoliert. Doch Nervensysteme sind ansteckend – in beide Richtungen.
Darum beruhigt es, wenn uns jemand die Hand hält oder mit uns atmet. In der Psychologie nennt man das Co-Regulation.

Wir wiegen Babys, wenn sie weinen. Das rhythmische Schaukeln beruhigt – nicht nur sie, auch uns.
Probier es selbst: Schaukeln in der Mittagspause, verbunden mit ruhigem Atmen. Es wirkt – und macht sogar Freude.

Wenn niemand da ist, kannst du dein eigenes System imitieren: Hände auf Herz und Bauch legen, sanft wiegen, mit einem hörbaren Summen ausatmen. Selbst-Co-Regulation ist kein Ersatz, aber eine Brücke.

Angst oder Überforderung? Zwei verschiedene Zustände

  • Angst: zu viel Energie, Herz rast, Atem stolpert.
    Fokus: Verlangsamen, Ausatmen, Erden.
  • Überforderung: Energie bricht ein, alles wird dumpf.
    Fokus: Rhythmus, sanfte Aktivierung, wieder in Bewegung kommen.

Erkenne, welcher Zustand gerade da ist – und wähle den passenden Atemanker.

Hamburg-Bezug

Ob im Büro an der Elbe, zwischen Terminen oder auf der Parkbank – Atemarbeit passt in jede Lücke des Alltags.
Sie braucht keine Matte, kein Setting. Dein Atem reist mit – und er ist immer verfügbar.

Fazit: Dein Atem als Rückkehrpunkt

Angst nimmt dir die Kontrolle. Dein Atem gibt sie dir zurück.
Nicht, indem du alles steuerst – sondern indem du dich erinnerst: Ich habe einen Anker.

Ein ruhiger Ausatem kann den Unterschied machen – zwischen Panik und Präsenz.

Weiterlesen

  • 5 Minuten für dich: Einfache Atemübungen für stressige Tage (/atemuebungen-stress)
  • Burnout erkennen, bevor es zu spät ist (/burnout-erkennen-koerpersignale)

Quellen

  1. Jerath, R. et al. (2015): Physiology of long pranayamic breathing: Neural respiratory elements may provide a mechanism that explains how slow deep breathing shifts the autonomic nervous system. Med Hypotheses.
  2. Lehrer, P. M. & Gevirtz, R. (2014): Heart rate variability biofeedback: how and why does it work? Frontiers in Psychology.
  3. Porges, S. (2011): The Polyvagal Theory.